Lamborghini Countach LP800-4 - Ein Enkeltrick?
Vorwort
Ja, ich hatte den Countach in den 80ern auch in meinem Zimmer hängen. Und daneben war der ebenso weisse Testarossa von Sonny Crockett. Ich liebe das Intro von "Auf dem Highway ist die Hölle los", allein wegen dem schwarzen Lambo, welcher den Highwaycops mit röhrendem V12 um die Ohren fuhr. Und das Auto ist heute noch eines jener Kreationen, an denen ich nicht vorbeikomme, ohne hinzustarren wie ein Reh im Lichtkegel eines herandonnernden Holztransporters. Und auch wenn die 80er nicht nur gefühlt eine Ewigkeit her sind, ich hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, dass man beim Countach in die Retrokiste greifen und einen Enkel bauen müsste. Bis ich eingeladen wurde, das Ding zu fahren und abzulichten. Spoiler: Es war ein Trick.
Was denn?
Einer jener Prototypen und Pressefahrzeuge, welcher seinen verdienten Ruhestand in Sant'Agata in Wurfdistanz zu Maranello verbringt. Eben ein solcher Lamborghini Countach LP800-4 in Weiss. 6.5 Liter Sauger V12 und 25kW starker E-Motor hauen in Summe und Theorie 814 PS raus, welche je nachdem, mit oder gegen die Erdrotation wirken.
❤️❤️❤️
Laufleistung
Angeblich hatte dieses Auto einige Hunderttausend Testkilometer auf dem Chassis. Jedoch, der Lambo wurde zwischenzeitlich restauriert, die Kampfspuren der harten Testkilometer wären vermutlich nicht sonderlich gut zu solch einem Auto gestanden. Gestanden haben dafür etwas um die 46'000 Kilometer auf dem Zähler. Davon hat man aber nix gesehen oder gspürt.
Wie weit?
Keine Ahnung, das hätten 150 Kilometer sein können, aber auch nur 50. Das ging alles ziemlich schnell. Ich mein...
Erster Eindruck
Vorurteil: Lambos sind von Rich-Kids favorisierte, komplett überhypte und überteuerte Miet-Dinger mit dem Nutzwert eines Fahrradanhängers mit einem Rad. Denn jetzt kommts, ich war bis dahin noch nie einen dieser Posterschönheiten selber gefahren. Ha! Ich fall immer wieder auf mich selbst rein. Jetzt steh ich da vor diesem Vieh und krieg die Tür nicht mehr zu. Die Präsenz dieses zerklüfteten Italieners klatscht dich einfach hart an den Kühlschrank. Auf Bildern oft gesehen und gedacht, meh. In Echt? Ja leck mich doch am Schuh! Seid ihr bescheuert? Seid ihr geisteskrank?
Kein Stativ dabei? Kein Problem, der Kiefer am Boden stabilisiert auch.
Zeigefinger (Assistenzsysteme)
ABS, ESP, muss reichen. War mir aber auch egal. Hauptsache Traktion.
Innenraum
Dass Innenräume in dieser Fahrzeugklasse andere Parameter verfolgen, als es vielleicht in einem vergleichbar bepreisten und limitierten Bentley der Fall ist, das sollte man nicht vergessen. Und das gilt insofern auch dann, wenn das besagte Objekt der Begierde aus Italien stammt. Nicht, weil die Italiener da etwas schlechter machen würden, im absoluten Gegenteil. Das Leder riecht einfach ein Ticken süsser, die Formen sind einen Zacken unkonventioneller und der Italiener scheut sich absolut nicht vor Farben, welche den Blutdruck aus Prinzip um ein paar Punkte anheben. Klar, dieser Innenraum mag zwar die eine oder andere Parallele zu dem wohl bekannten Aventador aufweisen, ist deswegen aber nicht minder beeindruckend.

Und innen auch noch rotes Leder. Ihr macht mich echt fertig.
Nochmal, hier handelt es sich um ein "nachgebessertes" Presseauto. Dennoch ist es nicht minder beeindruckend, wie sich das alles anfühlt und die Augen zucken lässt. Auch der Materialmix aus Leder, Carbon, Alcantara, Metallelementen, Stoff und dem wenig wahrnehmbaren Kunststoff sprechen eine deutliche Sprache; hier sind eine Menge Penunzen zu lösen, möchte man denn mal in völliger Entspannung einen Furz gen selbstfinanzierten Sitz fahren lassen.

Lenk mich! Tu es!
Starte mich!
26.5 Grad in Italien, 8500 mögliche Umdrehungen. Könnte alles viel schlimmer sein.
Becherhalter habe ich keine wahrgenommen. Aber mal ehrlich, in dieser Leistungsklasse brauchts das auch nicht, der Cappuccino fliegt nach dem ersten Durchbeschleunigen sowieso in Richtung Spritzwand oder schwappt beim Schalten bis zum Dach hoch. Was für ne Sauerei.
Die ersten Meter
"Kuntaasch", nicht "Kauntätsch"
Ich muss jetzt noch doof kichern, wenn ich mir die ersten Meter in Erinnerung rufe. Mario Fasanetto, unser Guide, seines Zeichens Testfahrer und Nachfolger des legendären Valentino Balboni mahnt; wenn er in seinem Urus (netter Dienstwagen!) abbremst, soll ich die Vorderachse anheben. Also, nicht aussteigen und vorne hochreissen, sondern per Knopfdruck hochpumpen lassen. Die Strassen rund um das Werk in Sant'Agata sind nämlich denkbar ungeeignet für den Countach und dessen Vorderbau. Ich spüre schnell, das ist kein Auto für kleine, übermütige Jungs und schläfrige Endachtziger. Das wird sonst schnell teuer und gibt ne Riesensauerei. Auch wenn ich kaum über den zweiten Gang hinauskomme, Anfahren und schalten haben Charakter. Liebe.
Nach zehn Kilometern
Ich komm mir vor, als wäre ich in einer Barschlägerei gelandet. Gäbe es ein Prädikat für Schlaglochsuchgeräte, der Countach würde ne zwölf von zehn Punkten kriegen. Das Auto springt förmlich in jede Unebenheit und fordert den Fahrer permanent, die Mitte der Strasse einigermassen zu treffen. Übrigens auch gar nicht so einfach, das Auto ist gefühlt so breit wie ein LKW. Mario fährt mal kurz ran und fragt, ob alles ok ist und ich erwähne, dass ich mich langsam daran gewöhne. Aber auch, dass das Auto durchaus Arbeit macht, schöne Arbeit wohlgemerkt. Mario winkt lässig ab, dann fahre er halt etwas schneller voraus, ich solle einfach dranbleiben. Klar. Was denn sonst.

Gedicht auf Italienisch.
Multimediaplunder
Im Prinzip unnütz. Und keine Ahnung, wie und ob es funktioniert hat. Ich war mit dem V12 beschäftigt und hatte keinen Bedarf nach Musikhören. Btw; bitte lasst diesen biestigen Zwolfzylinder nie sterben, egal wie billig Batterien irgendwann sein werden. Danke.
Die Fahrt
Mario schwenkt seinen Urus vor uns auf die Hauptstrasse in irgendeiner Ortschaft in den ansteigenden Bergen ein. An mir fliegt ein Strassenschild vorbei, da steht eine 50 drauf. Auf meinem Tacho steht eine solide eins an erster Stelle. Und dann kommen nochmal zwei Ziffern. Ich überlege, was ich alles unterschrieben habe, bevor man mir den Schlüssel übergeben hat. Und sehe plötzlich lachende Gesichter, an Bushaltestellen, vor der Poststelle und im Rückspiegel. Ich bemerke, wir werden verfolgt, erst von einem Iveco Kastenwagen, welcher fährt wie ein komplett Hirnamputierter. Muss der Organe ausliefern oder möchte er uns nur auf den Hintern glotzen?
Die finden das geil, dass wir hier fahren wie die Irren? Wir müssen in Italien sein.
Und dann ist plötzlich ein Alfa Romeo älteren Baujahres hinter uns. Ich sehe schon, wie wir am Strassenrand stehen, ich ein Ticket in der Höhe eines Bausparvertrages überreicht kriege und dann zum Hotel laufen kann. Aber nein, wie sich später herausstellt sitzt in dem Alfa ein lokaler Carspotter, der die Witterung aufgenommen hat. Wir indes bleiben an Mario dran, der die Kats in seinem Urus angmessen glühen lässt. Um den Alfa hinter uns mache ich mir trotzdem ein wenig Sorgen.
Weiterer Zwischenstop, ich spreche Mario auf seine Eile hin an. Er erwidert, dass hier in der Gegend sowas wie ein Gentlemans Agreement zwischen den Testfahrern (und deren Gästen) und der Polizei besteht. Und dass es nicht unüblich ist, dass er und seine Kollegen mit ordentlich Zug an der Welle in der Gegend herumfahren. Schliesslich hat Lamborghini im Gegegsatz zum Nachbarn Ferrari keine eigene Teststrecke und "muss" auf der Strasse testen. Das sei seit jeher so und die Bevölkerung hegt nicht nur deswegen eine Menge Sympathie und sicherlich auch einiges an Stolz für die Marke. Kurz; wir können hier inoffiziell so schnell fahren wie wir wollen, solange keiner zu Schaden kommt. Das bedeutet aber auch eine Menge Verantwortung für die Testfahrer und deren Gäste, Hut ab.
Wir fahren weiter zum Fotospot. Genau so zügig wie vorher. Der Carspotter hats nicht geschafft an uns dranzubleiben, aber als Local weiss wohl wo, wir hinwollen und nimmt eine Abkürzung. Ich bin etwas entspannter und ich merke, jenseits der 100 km/h fängt der Countach an perfekt zu funktionieren. Und jetzt verstehe ich auch das Wesen dieses Autos. Es ist nicht gebaut, um im Dorf und der Flaniermeile zu funktionieren. Das Auto ist gebaut um schnell zu fahren. Je schneller, desto besser fühlt sich alles an. Das Fahrwerk schluckt brav alles was da ist, die Lenkung fängt an, Strassenschäden zu ignorieren und die Getriebeübersetzung macht jetzt ebenfalls Sinn. Sehr geil.
Ortsausfahrt Maranello: Durchladen. Musste sein.
Dass es sich hierbei um ein vermeintlich antiqiuertes Konstrukt aus einer einzelnen automatisierten Kupplung an einem sequentiellem Getriebe handelt, mag in der Dorfregion ein Krampf sein. Beim Anfahren oder Fahrstufenwechsel droht immer wieder mal ein Schleudertrauma. Jenseits der 100 km/h und vor allem, unter Volllast bockt das unglaublich, im doppeltem Sinne. Klar mag es sein, dass ein Doppelkuppler hier Zeit gut macht, aber mir persönlich ist das, was auf dem Papier steht weniger wichtig als das, was zwischen meinen Ohren passiert. Und gerade beim Wechsel vom zweiten in den dritten Gang höre ich förmlich, wie mein Verstand das Handtuch wirft und ein leises "Ach leckt mich doch!" in die Leere meines Hirns ruft. Man möchte das immer und immer wieder machen, Gänge hoch- und runtersortieren, dazu dieser göttliche Klang des Zwölfenders hinter mir. Mir schiessen die Glückshormone wahrhaft durch den ganzen Körper und ich muss unweigerlich und unkontrolliert lachen. Laut und oft. Es ist einfach wunderbar, was wir hier gerade passiert. Es ist das wahre Gefühl von Freiheit.
Wir kommen zu unserem Fotospot, der Carspotter wartet bereits ungeduldig und breit grinsend. Ich meine, er hat auch die eine oder andere Schweissperle auf der Stirn. Dort fülle ich meine Speicherkarte mit nicht jugendfreiem Material und ersaufe in dieser Landschaft, dem Sonnenschein und der überwältigenden Präsenz des knisternden Countach. Mein Kollege indes macht noch ein paar Faxen für Social Media und versucht ein Interview mit Mario. Fasanetto ist jedoch nicht so der Typ der redet, er fährt lieber und das ist ihm nicht zu verdenken, ist ja schliesslich sein Job. Er drängt ein wenig auf die Rückfahrt, das Auto muss um spätestens sieben wieder im Museum stehen, also fahren wir wieder zurück ins Werk. Leider.
Die Rückfahrt verbringe ich teils stehend auf dem Beifahrersitz von Marios Urus' für Rolling Shots, teils auf dem Beifahrersitz des Countach als passiver Passagier. Und gerade als Beifahrer ist der flache Italiener tatsächlich nochmal intensiver, nicht nur mir fliegen die Sicherungen der Reihe nach raus. Auf der einen Auffahrt auf eine kurze Autobahn(??) sehe ich solide Zwei aus dem Tacho rüberblitzen. Und die war verdammt schnell da. Aber wir durften ja Mario nicht aus den Augen verlieren. Upsie. Aber was sollen wir denn in diesem Gefühlsflipperkasten auch sonst machen, Cruisen wäre hier sowas von falsch, genau wie Pizza Hawaii.
Im Werk geben wir dann wehmütig den Schlüssel wieder ab. Das wars. Und ich könnte locker nochmal einen Artikel darüber schreiben, wie so eine Fahr- und Fotosession von einem Lambo in Italien abgeht. Angefangen beim Flug, wo man mein Fotoeqiupment eingechekt und in Bologna fast eine Stunde lang vom Flieger aufs Gepäckband zu bringen versuchte. Dass wir Abends ins falsche Hotel gebracht wurden. Dass man den Schlüssel vom Auto plötzlich nicht mehr gefunden hat. Und dass ich im inoffiziellen Restaurant von Lamborghini die vermutlich beste Pasta seit Jahrzehnten gegessen habe. Dass wir von Bologna nach Zürich via München fliegen mussten. Verspätet abgeflogen sind und in München vom Flieger zum Gate rennen mussten, in einen Bus gestiegen sind, der uns wieder zu genau demselben Flieger gebracht hat, um nach Zürich zu fliegen. Es waren zwei sehr schnelle Tage, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber wie sollte es denn anders ablaufen, wenn man mit einem der verrücktesten Autos der Welt dem vermutlich entspanntesten Italiener mit Bleifuss hinterherfährt, verfolgt von einem Iveco Turbo Daily und einem Carspotter um danach sämtliche Gesetze im Strassenverkehr zu brechen, nur damit im Werk niemand sauer wird? Ganz ehrlich, ich liebe Italien, ich liebe deren Autos und ich liebe ihre Mentalität. Cazzo. Countach!
Fazit
"Bist du's nicht gefahren, hast du keine Ahnung" - dieser Satz bewahrheitet sich immer noch und zeigt, ich lerne nicht aus. Ich hatte eigentlich keine wirklichen Erwartungen an den Countach der Neuzeit. Für mich war sowieso klar, dass er nie den Mythos des ersten Ufos aus Sant'Agata haben würde. Im Nachhinein muss ich da ein wenig revidieren. Tasächlich mag die Neuauflage ein wenig polarisieren und es steht immer noch die Diskussion im Raum, ob Lamborghini die Retrokelle nicht doch besser in der Schublade bei der Nonna gelassen hätte. Aber ich finde, der Countach mag als Emotionszündstufe explodieren wie es nur ganz wenige tun. Heilige Makrele! Was er aber bei mir nicht geschafft hat ist, dass mein 10 Jähriges Ich ihn an die Wand nageln möchte. In Summe ein faszinierendes Stück Technik, aber leider keine tiefe Herzensangelegenheit, weil der Preis dermassen schmerzt, dass man Ibuprofen wie Pocorn einschmeissen möchte.

Kontrollschild, wo bist du hin?
Was das Vorverurteilen anbelangt, da ist schon etwas hängengeblieben. Lambos sind für mich immer noch nach Aufmerksamkeit schreiende Dinger, welche hauptsächlich dicke Bankkonten und noch dickere Egos benötigen. Und es ist leider einfach so, dass in der Wahrnehmung der Bevölkerung ein Lambo das ultimative Poserauto ist. Und ganz ehrlich, da ist der neue Countach auch keine Ausnahme acu wenn er eine spezielle Ausnahme ist. Wer damit auffährt, ist sich der Aufmerksamkeit und vor allem den Neid der Betrachter sicher. Und da kommt der "alte" Lambo wieder ins Spiel, der erregt zwar nicht weniger Aufmerksamkeit, hat aber mit absoluter Bestimmtheit eine Menge Sympathie auf seiner Seite. Nicht nur von mir.
💗💗💗💗💗💗💗💗
Kaufen?
Unmöglich, dagegen sprechen nämlich zwei Zahlen; erstens wurden nur 112 Stück gebaut und die sind längst weg. Und zweitens musste man für den Retrolambo 2.39 Millionen Euro aus dem Konto meisseln. Da ist es wahrscheinlicher, dass man im Lotto gewinnt und auch wenn das mehr als 2.39 Millionen Euro sein sollten, kriegt man deswegen immer noch kaum die Hand auf so ein Auto. Denn die wenigen Gebrauchten, welche in den Märkten zu finden sind, kratzen schon hart an der Drei-Millionengrenze. Und hier lauert der Enkeltrick, nur weil es so wenige waren, gleich mal den Preis eines Aventadors vervielfachen? Hättet ihr das Teil doch zu Tausenden gebaut und "vernünftig" bepreist. Dann würde ich vielleicht auch mal wieder einen in Echt sehen. Würde mich freuen. Denn, optisch finde ich, dass der neue Countach der aktuell schönste Lambo ist, den man für Geld das man nicht hat nicht kaufen kann. Was für ein Dilemma.
.
Text & Bilder: Ich.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Kommentare und Kritik sind immer herzlich willkommen. Grundsätzlich wird jeder Kommentar veröffentlicht und ggf. spiele ich auch noch Senfautomat. Auf verletzten Markenstolz gehe ich aber idR nicht ein.
Nicht veröffentlicht wird all jenes Zeug, welches unsere geschätzten Rechtsverdreher so zum Leben benötigen. Dazu gehören Beleidigungen, Verleumdungen, Rufmord etc.